Montag, 18. Juni 2018

Über den Verteilungskampf zwischen „Lohnabhängigen“ und „Profitabhängigen“.


Ein Versuch einer Erklärung
Angelehnt an einen Artikel im neuen brand eins (06/2018, S. 117 ff, Interview mit Wolfgang Streek).

Dass die Lohnempfänger vom Geld abhängig sind, liegt auf der Hand, sie müssen essen, wohnen usw. Wieso aber sind es die Profitabhängigen, also die Reichen, die Nettozinsempfänger? Weil die Gier nach Geld unstillbar ist.
Weil beide immer mehr haben wollen, ergibt sich ein Verteilungskampf, der hin- und herwogt.
Im 19. Jahrhundert war es staatliche Repression, die die Arbeitnehmerschaft billig hielten. In der Zwischenkriegszeit wars der Hunger, der von den Nazis durch Schuldenpolitik beendet wurde - diese Schulden wurden nach dem Krieg auf Null gestellt - sehr viele verloren ihr Geld. 
Neustart. 
In den Nachkriegsjahren war es Moderation (Sozialpartnerschaft, Wohlfahrtstaat), aber das ging auf Kosten der Kapitalseite. Der Höhepunkt war 1970, als die Gewerkschaften deklarierten, „man müsse die Belastbarkeit der Wirtschaft prüfen“. (siehe Brand 1, Heft 06 aus 2018, S. 118). Darauf antworteten die Firmen auch mit „Streik“ - ja, auch Firmen können streiken! und investierten im Ausland.
Am Ende hatte das Kapital die besseren Strategien: "es ging global".
In den 70er Jahren war die gängige Lehre, dass ab 3% Arbeitslosigkeit soziale Unruhen drohen. Auf die hohen Tarifabschlüsse reagierte daher die Politik mit einer Erhöhung der Geldmenge durch niedere Leitzinsen.
In den 80er Jahren bewies Margaret Thatcher in ihrem neoliberalen Experiment, dass diese Befürchtung falsch war. Bei 13% Arbeitslosigkeit wurde sie wiedergewählt.
Ab den 1980er Jahren war das Mittel der Wahl der Schuldenstaat, weil die Firmen und Superreichen immer weniger Steuern zahlten. Steigender Wohlfahrtsstaat, sinkende Einnahmen --> Staatsverschuldung.
Als die Staatsverschuldung immer mehr anwuchs, wurde eine neue Geldquelle: Man heizte den privaten Konsum an. 
Eine Deregulierung der Finanzmärkte ermöglichte die Ausweitung der privaten Kredite, die die Staatsverschuldung ersetzten. Wenn dieses Modell kollabiert (so wie 2008), werden die Schulden verstaatlicht. Nun ist der Staat verschuldet und die Bürger (99%) sinds obendrein. Die oberen Prozente verzeichnen einen Kapitalzuwachs wie nie zuvor. Firmen können mittlerweile Staaten kaufen.

In den Hinterzimmern der Finanz (z.B. Londoner oder Pariser Club) verständigten sich indessen  Politik und Finanz, dass die westlichen Industriestaaten zulasten des Wohlfahrtsstaates die Staatsfinanzen konsolidieren sollten. 

Weg mit den Sozialleistungen, bevor das Kapital was zur Konsolidierung beitragen muss.

Das bedeutet, die Enteignung der Mehrheit der Bevölkerung, die in den 80er Jahren durch Inflation erfolgte, erfolgt nun durch den Abbau des Wohlfahrtsstaates. Natürlich ohne Beitrag des Kapitals.
Die Bedrohung des sozialen Friedens durch die Konsolidierung wird vom schuldenfinanzierten, privaten Konsum befriedet.


Mittlerweile sind die Staaten völlig erpressbar. Bei jedem Versuch, die Politik der niedrigen Zinsen und somit der Schuldenausweitung zu beenden werden „die Börsen nervös“.Und die Wichtigkeit der Börsen wird bei sämtlichen Tagesschau und Nachrichten in die Hirne der Bevölkerung gehämmert. Jeder solle Angst bekommen, wenn die Märkte nervös werden.
Zur Zeit kann man einen massiven Abbau des Wohlfahrtsstaates erkennen. Die Regierung Österreichs macht Kürzungen, wie ich noch nie erlebt habe. Die Bevölkerung schweigt (noch ?), aber die Regierungen, die mittlerweile ausschließlich das Kapital bedienen (CETA usw.), rüsten seit Jahren ihre Militärs und die Exekutive gegen innere Unruhen auf. Was sich in den Vorstädten von Paris abspielt ist da ein gutes Trainingsfeld, und bisher haben diese Unruhen nichts bewirkt außer abgefackelte Autos und geplünderte Geschäfte.
Spannend wird es in wenigen Jahren, wenn meine Generation der Babyboomer in Pension geht und ein erhebliches Arbeitskräftevakuum entstehen wird.
Möge sich die Lage dann zum besseren Wenden.