Gedanken zu Oliver Janichs Buch: Die Vereinigten Staaten von Europa
Was Oliver Janich in seinem neuesten Buch „Die
Vereinigten Staaten von Europa“ skizziert, ist die Hoffnung auf das Paradies auf Erden, befreit
von jeglicher Tyrannei des Staates. Noch sind wir nicht da, sondern: „Herzlich willkommen in der Hölle. Sie
heißt Demokratie“ (Janich, 2014, p. 15)
Der
Staat ist die Verkörperung des Bösen, egal in welcher Form er daherkommt. Die
Lösung, die Verheißung: „Herzlich willkommen im Paradies … Privatrechtsgesellschaft“. (ebenda,
p. 16)
Eines der Argumente für die libertäre Idee
ist, dass alle anderen Staatsformen eindeutig gescheitert sind. Nun denn - lassen
wir es auf einen Versuch ankommen. Errichten wir eine Privatrechtsgesellschaft. Das Problem: Nahezu alle
Gegenden dieser Erde sind von irgendeinem Staat beansprucht.
Schön wärs, könnte man irgendwo
noch eine Privatrechtsgesellschaft errichten … Machen wir daher ein Gedankenexperiment:
Nehmen wir einfach einmal an, es gäbe irgendwo
auf diesem Planeten noch einen nennenswerten Fleck Erde, der „frei“ ist. Also
zum Beispiel eine Gegend wie Nordamerika zur Zeit der Siedler. Damals gab es keine
USA, keinen Nordamerikanischen Staat, sondern eine dezentral organisierte
Stammesgesellschaft mit den unterschiedlichen Gesellschaftsformen. Man könnte
es durchaus als Privatrechtsgesellschaft bezeichnen, wenn man vom grundlegend
unterschiedlichen Eigentumsbegriff absieht. Das Eigentumsrecht scheint einfach gewesen zu sein: Alles
gehört dem Großen Geist, wir müssen uns bestmöglich darum kümmern. Die
einzelnen Stämme hatten jeweils interne Gesellschaftsverträge abgeschlossen.
Zwischen den Stämmen waren entweder Friedensverträge oder es herrschte Krieg.
Dieses Gleichgewicht wurde ab dem 16. Jahrhundert durch den Import
von Feuerwaffen massiv gestört: Sobald einige Stämme Feuerwaffen hatten,
griffen sie die anderen Stämme an, um sie zu vertreiben. Manche nennen das libertär, andere nennen das
Faustrecht oder Recht des Stärkeren.Jedenfalls gab es keinen Staat, der eingegriffen hätte.
Nun
kamen die Siedler in Massen und wollten auch dort
leben. Das ist nach libertärer Auffassung ihr gutes Recht, der Boden
gehörte schließlich niemandem (sieht man vom Großen geist ab). Es gab auch kein Grundbuch und kein staatliches Gericht. Die Privatrechtsgesellschaft der Indianer
konnte der
militärischen Übermacht nichts entgegensetzen. Die eindringenden Weißen
hatten
Schnellfeuerwaffen, die Bewohner Nordamerikas nicht.
Nach wenigen Jahrzehnten hatten die
Einwanderer das Land in Besitz genommen, die Einwohner weitgehend ausgerottet.
Es
stellt sich nach der Lektüre von Janichs Buch, in dem die Vorteile einer
libertären Gesellschaftsform verdeutlicht werden, die Frage, wie es
überhaupt in
den folgenden Jahren dazu kommen konnte, dass sich dort so etwas
Nachteiliges wie ein Staat
herausbildet? Wenn es so wäre, wie die Libertären meinen, dass die
libertäre
Gesellschaftsform einer Staatsform deutlich überlegen ist, wieso hat
sich
dann nicht in Nordamerika (wie auch praktisch nirgends auf dieser Welt)
eine solche
dauerhaft gebildet? Vor allem: Früher (zur Zeit der Nomaden und
Jäger/Sammler) war die Welt überall komplett libertär.
Es gab nirgends auf dieser Welt einen Staat. Die Menschen haben sich irgendwann freiwillig zusammengeschlossen,
um Staaten zu gründen. Freiwillig deswegen, weil ja niemand da war, der sie zur Staatengründung gezwungen hätte.
Wie konnte das passieren? Staaten überall, die
die Konzerne schützen und die Mehrheit der Bevölkerung „berauben“ (wie die
Libertären unser Steuersystem nennen)? „Private Konzerne bedienen sich des
staatlichen Gewaltmonopols und lassen Gesetze zu ihren Gunsten schreiben.“ (S.
38). Und: „Monopole sind immer schlecht“ (S. 28). Mag
man dem zustimmen, so erhebt sich die Frage, wieso gerade die
Privatrechtsgesellschaft Monopole verhindern soll? Wenn es die freiwillig
gegründeten Staaten sind, die erst Monopole möglich machen, drängt sich dann nicht
der logische Verdacht auf, dass die Staaten genau deswegen da sind, um für die
großen Konzerne ihren Zweck zu erfüllen? Kann es sein, dass die Staatengründer (z.B. Washington und Co. für die USA) Agenten der zukünftigen Monopolisten waren oder gar die Monopolisten selbst? Zumindest waren einige der reichsten Männer Amerikas dabei.
Möglicherweise
müssen wir aus der Geschichte eines
lernen: Bisher hat sich nirgends dauerhaft eine Privatrechtsgesellschaft
gebildet. Jede libertäre Gesellschaft hat sich schließlich zum Staat
entwickelt.
Vielleicht genau deswegen, weil es eben im Interesse der großen Konzerne
ist? (Was
heute die Konzerne sind, waren früher die Adeligen). Hinter den
Konzernen stehen, wie Janich verdeutlicht, eine Handvoll Reicher.
Daher zurück zur hypothetischen Frage, angenommen
es gäbe noch irgendwo ein unbesetztes "Nordamerika", muss man sich die Gegenfrage stellen:
Wieso sollte es diesmal anders sein und eine dauerhafte libertäre Gesellschaft entstehen?
Kann es sein, dass die Libertären Ursache und
Wirkung verwechseln? Dass die Reichen, die herrschende Klasse, an einer
Staatsbildung interessiert ist, weil sie dann mit Hilfe dieses Staates besser
herrschen können?
Dann wäre es nur logisch, dass sich in so
einem Neuland innerhalb von kurzer Zeit ein Staat bilden würde, der die
Oligarchen schützt und die Mehrheit beraubt.
Zu Ende gedacht erhebt sich die Frage, ob wir nicht sowieso in einer libertären Welt leben und die Staatenbildungen auf frewilliger, privatrechtlicher Basis erfolgten. Kann es sein, dass hier der Blinde Fleck der Libertären
zu suchen ist: Wir leben auf unserer Welt bereits in einer libertären Gesellschaft. Wo ist der Weltstaat (gewesen), der die Menschen zwingt, Staaten zu gründen.
Die Menschen haben irgendwann begonnen, sich zu
organisieren, und am Ende wurden freiwillig! Staaten gegründet, mit
Verfassungen, mit
Rechtssystemen usw. Es war und ist keine (bekannte) Macht da, die die Menschheit gezwungen hat, einen Staat zu gründen. Es gab keine
übergeordnete Instanz, folglich waren die Staatengründungen (z.B. die
amerikanische Verfassung) freiwillige Verträge, ganz im Sinne der
Libertären.
Was wir möglicherweise gerade beobachten können, ist die Entwicklung
eines Weltstaates – das beschreibt Oliver Janich sehr gut. Dieser Weltstaat
würde demnach einem Zweck dienen: die Macht der Reichen auszubauen, Weltmonopole zu erzeugen.
Wenn man daher wissen will, wie eine libertäre
Gesellschaft aussieht, muss man nur unsere Staatengesellschaft auf globaler
Ebene ansehen. Da macht jeder, was er will. Es gibt zwar ein Eigentumsrecht,
aber das Recht des Stärkeren ist, wie schon der Begriff sagt, stärker. Wer die
Waffen hat, der nimmt sich. Wer keine hat, muss klein beigeben oder sich starke Verbündete suchen - die sind aber nicht immer verlässlich.
In einer libertären Gesellschaft kann sich jeder bewaffnen, jeder schießen und sein Eigentum verteidigen
versuchen, jedoch zeigt ein Blick auf diese Welt: Es kommt immer jemand daher,
der mehr Waffen oder mehr Geld oder mehr Verbündete hat als du, dann nützt Dir
Dein Eigentumsrecht nichts.
Im übrigen haben auch private Schiedsgerichte keine Wirkung, wenn der Stärkere keinen Nutzen davon hat. Dann ignoriert er sie einfach.
Eine interessante Frage wäre auch, zu schauen,
ob die Libertären zur Klasse dieser Oligarchen gehört oder zu denen, die
beraubt werden. Vielleicht könnte man es an einem gerüttelt Maß an Wut auf das System
erkennen: Die Wut des Ohnmächtigen. Bei einer Gründung eines libertären Gebietes
("Libertärer Staat" wäre ein Oxymoron) kann man den derzeitigen
Libertären nur wünschen, an der Spitze der Hackordnung zu sein. Nach kurzer
Zeit werden sie ihre Gesetze und die entsprechende Exekutive haben und die
Unterdrückten werden zu den neuen Verfecjhtern einer libertären Gesellschaft.
Eine weitere spannende Frage stellt sich auch
aus der Lektüre von Janichs Buch: Die „Principal Agent Theorie“ (S. 108 ff.):
Wer steckt hinter den Libertären? In den USA scheint es ziemlich eindeutig zu
sein: Die großen Konzerne (z.B. die Koch-Brüder) finanzieren und organisieren
die libertären Organisationen.
Wer macht das in Europa?
Einige Ziele der Libertären in Kurzform:
- Abschaffen der demokratischen Ordnung mit Legislative, Exekutive und Judikatur.
- Waffenliberalisierung und Auflösung des Gewaltmonopols
- Auflösung des gesellschaftlichen Solidaritätsvetrags.
Wenn wir die Frage klären: Wer kann so etwas
wollen? Dann wissen wir auch, wem die Libertären dienen.
Janich, O. (2014). Die Vereinigten Staaten von Europa. München: FinanzBuch Verlag.
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